Im Grunde ist es so: Maßnahmen für bestimmte Personengruppen können nur effizient umgesetzt werden, wenn sie mit den Betroffenen zusammen aufgestellt werden. Sei es in öffentlichen oder privaten Gesprächsrunden – zu oft wird ÜBER Menschen mit Behinderung, wie auch über das Thema Inklusion, geredet, anstatt MIT diesen Personen darüber zu reden. Wie können wir richtige und auch effiziente Maßnahmen schaffen, Ressourcen akquirieren, indem wir den Bedarf lediglich mittels unserer eigenen Vorstellung oder Erfahrung ermitteln? Unter Umständen wird viel Geld umsonst investiert und die Hilfe geht in der Praxis an den dafür vorgesehenen Personen vorbei; möglicherweise verschlechtert sich die Situation für die Betroffenen sogar.
Wenn wir über „Menschen mit Behinderung“ sprechen, dann ordnen wir sie damit bereits einer gewissen Personengruppe zu. Die Verwendung jeglicher merkmalsbezogenen Begrifflichkeiten, nicht nur in Bezug auf Menschen mit Behinderung, sondern beispielsweise auch in Bezug auf „Menschen mit Migrationshintergrund“ wird im Zuge der Inklusionsdebatte ebenso diskutiert. Es besteht die Meinung, dass durch die Attribuierung mittels der Begriffe Behinderung oder Beeinträchtigung zugleich eine Stigmatisierung derselben Personen erfolgt. Ich als selbst betroffener Mensch gehöre nicht zu den Personen, die auf eine Untersagung jeglicher Bezeichnung, sei es im täglichen wie auch wissenschaftlichen Sprachgebrauch, beharrt.
Zum Einen sind wir Menschen, oder besser gesagt unser Gehirn, darauf ausgelegt, unsere Mitmenschen anhand bestimmter Merkmale in erster Linie für uns selbst zu unterscheiden. Diese Kategorisierung muss aber nicht unbedingt mit einer negativen Bewertung einhergehen. Wir müssen all die Eindrücke aus unserer Umwelt irgendwie einstufen, um handlungsfähig zu sein. Folglich könnte man behaupten, dass der Begriff Behinderung erst im gesellschaftlichen Kontext zu einem negativen Attribut wird oder geworden ist.
Zum Anderen zeigen Befragungen von betroffenen Menschen - mit Behinderung oder Migrationshintergrund, dass diese selbst gar kein Problem in einer solchen Attribuierung sehen oder diese als nebensächlich bewerten. Ausschlaggebend ist für sie der wertschätzende Umgang seitens ihres Umfeldes. Wozu also die vielen Diskussionen um einzelne Begriffe, wenn es jene Personen gar nicht stört?
Ich finde den Diskurs um gewisse sprachliche Gewohnheiten dennoch wichtig, zumal die Sprache eine nicht zu unterschätzende Wirkung auf unsere Wahrnehmung sowohl von uns selbst wie auch von unseren Mitmenschen hat. Sich dessen immer wieder bewusst zu werden und die eigene Sprache zu reflektieren, hilft uns, einer jeden Person mit Würde und Respekt zu begegnen. Gerade im Hinblick auf Menschen mit „besonderen“ Eigenschaften ist eine achtsame, sensible Wortwahl erforderlich; vor allem dann, wenn jene gar nicht anwesend ist.
Ich denke, unsere Aufgabe und zugleich Herausforderung liegt darin, uns selbst zu hinterfragen und zu überlegen, ob wir denn immer Menschen anhand von Merkmalen definieren müssen und, wenn ja, wie. Auf welchen Sprachgebrauch können wir vielleicht alternativ zurückgreifen und auf welchen können/sollten wir verzichten. Es macht einen Unterschied, ob eine Person anhand ihrer braunen, lockigen Haare oder ihrer Behinderung charakterisiert wird. Muss ich eine Person mit Autismus als solche bezeichnen oder kann ich sie auch mittels anderer Adjektive beschreiben – falls ich diese überhaupt brauche.
Sei es das Thema Barrierefreiheit oder (verbale) Stigmatisierung - in jeglicher Diskussion bezüglich Menschen mit einer Behinderung oder mit Migrationshintergrund sollten wir uns angewöhnen, stets diese selbst mit einzubeziehen, sie nach ihren Bedürfnissen, Sichtweisen fragen.
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