8 Vom Mitgefühl zum Mitleid

„Ach, du meine Güte… Was ist denn mit dir passiert?“ oder „Was hast du denn angestellt?!“

Gute Frage... nichts?! Sprüche wie diese sind mir in den Ohren geblieben. Aussagen von Restaurantbesitzer*innen, Passant*innen, ja sogar Ärzt*innen, denen ich begegnet bin. Anstelle einer normalen Begrüßung oder wortlosen Wahrnehmung auf der Straße kamen mir immer wieder durchaus wertende Kommentare entgegen. Meistens fehlten mir daraufhin die Worte. Wie sollte ich auch darauf reagieren - erwarteten die Personen eine Antwort? Sollte ich ihnen etwa zustimmen oder mich womöglich für mein Aussehen entschuldigen? Manchmal merkten die Leute, dass ihre Anmerkung wohl eher unpassend war und hielten ebenso inne. Sie wussten allerdings auch nicht ihr Verhalten zu korrigieren. Wie denn auch - sie wissen es wohl nicht besser, wie sie mit "andersartigen" Menschen umgehen sollen? Am besten wäre es wohl, indem sie diese "einfach" (sprachlos) akzeptieren. 

War es wieder diese Unbeholfenheit, die die Leute zu solch unangebrachten Verhalten, ja sogar Mitleid veranlasste? „Du Arme… du tust mir leid.“ - Bitte nicht. Es muss keinem/r leidtun, dass ich bin, wie ich bin. Nach solchen Aussagen sollte es mir wohl selbst leidtun – dass meine Mitmenschen offensichtlich aufgrund meiner äußeren Erscheinung leiden müssen. Viel zu oft ist es das Umfeld, dass die (vermeintliche) Behinderung eines anderen als eine Art Last, Bestrafung oder eben Unglück ansieht. Die betroffene Person selbst mag eine andere, sogar konträre - positive Sichtweise haben.

So wenig man dafür kann - nämlich nichts, als „normaler“ Mensch, also ohne feststellbare „Mängel“, auf die Welt zu kommen, so wenig Einfluss auf ihre eigene Existenz und Lebensform haben auch Personen, die mit einer Behinderung geboren wurden. In meinem Fall (und ich denke, dass ein Großteil der Menschen mit Behinderung dieselbe Einstellung hat) sehe ich meine Behinderung als Glück. Ich möchte sie mit keinem anderen Leben tauschen. Denn ohne sie hätte ich nie gewisse Fähigkeiten, ja - Stärken entwickelt (wenn auch manchmal notgedrungen). Eine Behinderung kann durchaus gewisse Schwächen mit sich bringen, die man verbessern oder kompensieren muss. Mitleid wäre an dieser Stelle dennoch unangebracht und auch wenig hilfreich. Im Gegenteil - Mitleid kann für die Psyche eines Menschen erniedrigend sein, vor allem wenn man sich selbst gar nicht als Leidender sieht; vielmehr wird man dann zu einem solchen gemacht. Dem sind sich viele Leute mit ihren vermeintlich mitfühlenden Aussagen gar nicht bewusst. 

Damit wären wir wieder bei dem Aspekt der Be-hinderung. Wie oft werden Menschen zu behinderten gemacht, indem sie von Anderen als solche attribuiert und dafür bemitleidet werden, schlimmstenfalls durch unpassende Aussagen aus ihrem Umfeld degradiert werden. 

Wie bereits an mehreren Stellen erwähnt, meinen es die meisten Menschen nicht böse, sondern es mangelt ihnen an Erfahrungen, persönlichen Begegnungen mit „behinderten“ Menschen. Vielleicht fehlt ihnen auch ein gewisses Maß an Bildung. Jedoch halte ich wenig davon, Schüler*innen theoretische Inhalte zum Thema Behinderung oder Inklusion zu vermitteln. Ich appelliere vielmehr (wie es auch für viele andere Themen sinnvoller wäre) für eine praxisnahe Herangehensweise an das Thema, indem wir beispielsweise Räume schaffen, in denen sich Kinder/Jugendliche mit und ohne Behinderung treffen und kennenlernen können. Anstelle von Mitleid sollen Kinder schon möglichst früh lernen, egal für welche Personengruppe, Mitgefühl zu entwickeln. Nur so können wir all unsere Mitmenschen gleichermaßen respektieren und empathisch mit ihnen in Kontakt treten. Mitgefühl, anstelle von Mitleid, ist wohl das bessere Wort und Verhalten, um Menschen auf Augenhöhe zu begegnen. Indem ich den anderen mit all seinen Persönlichkeitsmerkmalen annehme, seine Gefühle und Verhaltensweisen verstehen und damit auch respektieren lerne, zeige ich mich nicht mitleidend, sondern mitfühlend. Nur so kommen wir Menschen mit einer Behinderung oder anderen Besonderheit näher und können uns dabei auch selbst gut fühlen. 

Mein Chef brachte mehrmals in Diskussionen über Inklusion das Argument hervor, dass wir alle schon morgen behindert sein können. Wir können eine Behinderung erwerben, indem wir einen Unfall haben oder plötzlich an einer Krankheit leiden. Damit möchte er seine Zuhörer*innen sensibilisieren und zu verstehen geben, dass wir uns vor voreingenommenen Meinungsbildern hüten sollten - zurecht. 

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