Im Zusammenhang mit dem Thema Inklusion wird zugleich auch meist vom Individuum gesprochen. Jeder Mensch ist individuell, etwas Besonderes - wie auch immer man dies interpretieren mag. Dennoch stimmt es - keine/r von uns ist gleich und jed/r einzig-artig.
Wie ich einmal einen renommierten Professor sagen gehört habe – wir können noch so weit in die Vergangenheit zurückblicken oder in Zukunft – uns wird es nur einmal geben. Damit meinte er nicht nur den Menschen als physisches Wesen, sondern vielmehr als Person mit all seinen/ihren speziellen, unvergleichbaren Eigenschaften und Fähigkeiten.
Über 110 Milliarden sind oder waren es bisher. Damit meine ich uns Menschen, die seit der Steinzeit geboren wurden (Stand 2011). Ist diese Vorstellung nicht überwältigend? Wir sollten demnach eine gewisse Demut gegenüber uns selbst, auch unseren Mitmenschen haben. Außerdem sagt mir diese Tatsache, dass wir unsere einzigartigen Fähigkeiten mehr wertschätzen und fördern sollten. „Kein Talent darf verloren gehen“ heißt es doch oft so schön. Zu oft lassen wir dieses verkümmern. Dabei sollte man nicht von jedem Mensch erwarten, dass er Wunder vollbringt, indem jede/r zweite einen Weltrekord in seinem Spezialgebiet aufstellt. Nein, jeder Mensch sollte ganz einfach die Möglichkeit haben, sich zu entwickeln und seine Stärken zu entfalten. Einfach ist das natürlich nicht. Viele Personen glauben gar nicht von sich selbst, dass sie in einer Sache gut sind. Wie denn auch - wenn sie nie die Gelegenheit bekommen, eine entsprechende Erfahrung zu machen…
Es ist so wichtig, Kindern vielfältige Lernsettings zu ermöglichen, in denen sie sich selbst ausprobieren können und sich in dem ein oder anderen Bereich als gut, sogar besonders gut oder fähig erleben. Genauso sollen auch die persönlichen Schwächen erkannt werden. Es ist gleichermaßen wichtig zu wissen, was man nicht so gut kann (auch das muss man erfahren). Dadurch verringert sich die Wahrscheinlichkeit, dass man sich in Zukunft überschätzt oder Dinge macht, die schlimmstenfalls anderen einen Schaden zufügen. Zugleich kann man an diesen weniger ausgeprägten Eigenschaften arbeiten und sich verbessern.
Unser Schulsystem sieht vor, dass wir Menschen zumindest bis zur 10. Klasse in (zu) vielen Bereichen gleichzeitig gut sein müssen. Dies veranlasst oder zwingt die Mehrheit der Schülerschaft zu einem enorm hohen Lernaufwand. Aufwand an Zeit und Energie, der besser in jene Tätigkeitsfelder investiert werden sollte, in denen die Schüler*innen ihre Stärken aufweisen.
Abgesehen davon muss man sich immer wieder die Frage stellen, wie viel wir von dem einst gelernten Stoff in der Schule noch wissen oder tatsächlich anwenden können? Nicht nur in skandinavischen Ländern haben Schüler*innen die Möglichkeit, zwischen Fächern oder sogenannten Modulen auszuwählen und so ihren individuellen Talenten nachzugehen. Verlässt man bloß Bayern als Bundesland und fährt ein paar Kilometer weiter in den Norden, so findet man wesentlich fortschrittlichere Schulkonzepte, u.a. individualisierte Lehrpläne, die sich an den persönlichen Bedürfnissen der jungen Menschen orientieren und damit deutlich bessere Ergebnisse erzielen.
Schüler*innen erbringen (logischerweise) höhere Leistungen, wenn sie ihre speziellen Begabungen ausleben können. Dies hat zwei einfache Gründe: Erstens ist jeglicher Lernerfolg von unseren Emotionen und Motivation abhängig. Wenn wir uns für einen Sachverhalt interessieren und diesen gut oder leicht bewältigen können, sind wir automatisch emotional involviert und auch (intrinsisch) motiviert. Dies hat einen nicht zu unterschätzenden Einfluss auf die Qualität unseres Tätigseins, unseres Lernens.
Zweitens steigert ein an den Stärken orientierter Lernprozess den Selbstwert des Lernenden. Indem ich mich als selbstwirksam erlebe, mich in meinen individuellen Fähigkeiten bestätigt fühle, wird mein Selbstbewusstsein gestärkt und damit auch meine eigene Selbstkenntnis erweitert.
Ich möchte dem Thema Noten eigentlich keinen extra Platz hier einräumen, dennoch möchte ich an dieser Stelle erwähnen, dass nicht nur wissenschaftliche Studien gezeigt haben, dass eine Beurteilung durch Ziffernnoten allgemein keineswegs zu erhöhten Leistungen der Schüler*innen führt. Vielmehr geht es um die emotionale Einbindung und damit einhergehende Motivation der Schüler*innen für ein Thema. (In Finnland gilt die Notengebung bis zur 9. Klasse als nicht verpflichtend.)
Die Aufgabe der Schule ist es aus meiner Sicht, Kinder „heranzubilden“, die um sich und ihre persönlichen Talente wissen; die sowohl ihre Stärken als auch Schwächen kennen. Junge Menschen, die sozusagen ein reales Bild von sich selbst haben, ihre Fähigkeiten und entsprechende Wirkungsgrade adäquat einschätzen können. Dazu gehören jedoch nicht nur fachliche Kompetenzen, sondern auch (wenn nicht sogar mehr) soziale-emotionale Kompetenzen. Bei dieser Entwicklung spielt die Inklusion, der Kontakt zu Menschen mit einer Behinderung, eine wesentliche Rolle. Darauf möchte ich im folgenden Kapitel näher eingehen.
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