14 Der wert-lose Mensch

Neben dem zunehmenden und teilweise fragwürdigen Trend der Diagnostizierung (und damit auch Stigmatisierung) sowie der erwarteten Anpassung von Menschen mit einer - vermeintlichen oder tatsächlichen Beeinträchtigung in der Schule (das Gegenteil sollte der Fall sein!) sollte auch ein Blick auf den Menschen mit Behinderung im Berufsleben geworfen – sind denn diese dort aufzufinden? Sehr begrenzt würde ich sagen. Selbst nach der Einführung des neuen Bundesteilhabegesetzes, dass Menschen mit jeglicher Art von Behinderung und in allen Lebensbereichen die Teilhabe in der Gesellschaft erleichtern soll, bleibt ein Großteil jener Personen ausgeschlossen. Dies betrifft vor allem diejenigen mit einer geistigen Behinderung.

Obwohl das Sozialgesetzbuch (SGB) verschiedene Arten von Leistungen, Maßnahmen zur Integration am ersten Arbeitsmarkt beinhaltet, werden diese häufig seitens der Kostenträger abgelehnt.

Folglich könnte man sagen, dass die meisten Menschen mit Behinderung es - im wahrsten Sinne des Wortes - nicht wert sind, am ersten Arbeitsmarkt integriert zu werden. Wer nicht die Leistung eines "gesunden" Arbeitnehmers und damit nicht das maximale Kapital für den Staat oder das Unternehmen erbringt, kann nur in seltenen Fällen das Recht auf eine entlohnte Beschäftigung nutznießen.

Dabei sollte es auch um eine Gleichstellung, im Sinne einer gleichberechtigten Teilhabe am Arbeitsleben, gehen, wie es explizit im SGB IX benannt wird. Stattdessen sieht der Staat nur (vermeintlich) gesunde Arbeitskräfte vor, die möglichst lange und ohne finanziellem Aufwand funktionieren. Als logische Folge sind Menschen mit Behinderung am ersten Arbeitsmarkt unerwünscht, denn sie sind für wirtschaftliche Betriebe meist nicht rentabel, denn sie können nicht immer und ohne Unterstützung dieselbe Leistung erbringen. Im Gegenteil, sie mögen für den ein oder anderen Arbeitgeber deutlich mehr Aufwand bedeuten.

Selbst wenn ein Mensch mit Behinderung nicht dieselbe Leistung, wie eine nicht-behinderte Person erbringen kann, gibt es zu viele Gründe, jene Menschen auf den Arbeitsmarkt zu integrieren. Gehen wir einfach von uns selbst aus: Arbeit ist ein Grundbedürfnis. Abgesehen von dem grundlegenden Bedürfnis, einer Beschäftigung (Beruf) nachzugehen, möchte wohl jede/r ein selbständiges Leben aufbauen und damit auch sein/ihr eigenes Geld verdienen.

Aus diesem Grund finden wir sowohl in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte (Artikel 23) wie auch in der UN-Behindertenkonvention (Artikel 27) das Recht auf Arbeit. Es wäre oder ist eine Herabwürdigung des Menschen, diesem eine berufliche Beschäftigung zu verwehren. Wie die Integration in der Schule geht es um eine Gleichberechtigung und auch Wertschätzung des Menschen in der Arbeit, unabhängig seines Leistungsvermögens.

Egal um welchen Lebensbereich es handelt – die Gleichstellung von Menschen mit und ohne Behinderung im Sinne einer gleichberechtigten Teilhabe soll das Ziel einer inklusiven Gesellschaft sein.

Neben der gesellschaftlichen Partizipation (Inklusion) zielt das neue Bundesteilhabegesetz (BTHG) auf ein möglichst selbstbestimmtes Leben für Menschen mit Behinderung ab. Vielleicht fällt ihnen spätestens an diesem Punkt ein Widerspruch auf - Wie sollen diese Menschen am sozialen Leben teilhaben, geschweige denn eine eigenständige Lebensführung verfolgen, wenn sie nicht die Möglichkeit bekommen, ihr eigenes Einkommen zu verdienen?

Die Barrieren für diese Personengruppe, um auf den ersten Arbeitsmarkt zu gelangen, sind teilweise unüberwindbar. Häufig werden Anträge, zum Beispiel auf eine benötigte Arbeitsassistenz trotz Einklagen abgelehnt. So landen viele doch in einer sogenannten Werkstatt für behinderte Menschen, in denen sie oft nur monotone Tätigkeiten ausführen und dafür nicht mal den Mindestlohn erhalten.

Meiner Meinung nach bietet jegliche Bestrebung hin zur Inklusion, sei es in der Schule oder Arbeit, eine essentielle Erfahrung, nämlich die Begegnung von Menschen mit einer Behinderung. Nur dadurch kann sich eine höhere Wertschätzung und positivere Einstellung seitens Menschen ohne Behinderung in Bezug auf jene mit einer Art von Beeinträchtigung entwickeln; und zwar unabhängig davon, wie viel sie leisten können. Nur aus diesem Grund lohnt es sich, sowohl als Schule wie auch als Betrieb sich Menschen mit verschiedenen Voraussetzungen zu öffnen. Allerdings leben wir in einer Leistungsgesellschaft, weshalb Veränderungsprozesse - entgegen der starken Leistungsorientierung, dafür hin zu mehr Menschlichkeit - noch schwieriger voranzutreiben sind...

 

 

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